Das kulinarische Leben in der Blase

Markus/ August 7, 2022/ Uncategorized

Seit geraumer Zeit treibt mich die Frage um, wohin eigentlich die Reise rund um unser tägliches Essen geht. Ich habe darauf keine Antwort, aber ich würde es begrüßen, wenn Regionalität und Nachhaltigkeit dabei eine wichtige Rolle spielten. Ich weiß auch, dass das total abgedroschen klingt und allzu oft als Plattitüde daher gesagt wird. Das hängt aber auch damit zusammen, dass es seit Jahren nur bedingt gelingt, das Ganze mit Inhalt zu füllen. Jedenfalls nicht in einer Form, die für die breite Masse funktioniert. Aber woran liegt das? etwa daran, dass wir alle in unserer Blase leben?

Die Meinung der Blase: Die Leute wollen „billig“…

Spreche ich in meinem Bekanntenkreis über das Thema, heißt es ganz oft, dass die Leute ja billig einkaufen wollen. Das mag für manchen durchaus stimmen. Andererseits wirft der Handel auch seit Jahren mit niedrigen Preisen nur um sich. Gegen die freitägliche Radiowerbung der großen Supermarktketten ist Aal-Kalle vom Wochenmarkt mitunter ein Waisenknabe. Sicher sind Menschen längts gewohnt, dass sehr viele Lebensmittel sehr günstig und nahezu immer erhältlich sind. Saisonalität wird bestenfalls noch dadurch erreicht, dass die meisten Menschen auf Grünkohl oder Gans mit Klößen im Sommer keine Lust haben. Nicht aber dadurch, dass bei uns im Winter auf Freiland-Feldern nun einmal weder Erdbeeren noch Spargel wachsen. Zur Not werden die Sachen eben aus Spanien oder Israel herangekarrt bzw. in westeuropäischen Treibhäusern produziert. Daneben sorgen Tönnies und all die anderen Großschlachtereien dafür, dass quasi jeder Kunde, der möchte, auch in jedem Supermarkt (und bei manchem Metzger) garantiert ein Schweinefilet oder Schnitzel kaufen kann. Der meistgewählte Lösungsansatz – die „Moralkeule“ respektive das schlechte Gewissen – versagt hier großteilig. Warum sollten Verbraucherinnen und Verbraucher sich auch dadurch beeindrucken lassen, dass Schweine widernatürlich auf Spaltböden gemästet werden? Sie laufen ja auch nicht nackt oder barfuß herum, weil ein Großteil der hier verkauften Textilien von ausbeuterischen Nähbetrieben in Bangladesch, Vietnam, der Türkei oder sonst wo her kommen. Und keiner verzichtet auf sein Smartphone, weil die Arbeitsbedingungen bei Foxconn & Co. so schlecht sind. Und wie sehr abschreckende Bilder Menschen tatsächlich vom Rauchen abhalten, darf man gerne diskutieren. Was den Verbraucherinnen und Verbrauchern vermittelt werden muss, ist der Benefit, den sie ganz konkret dadurch haben, dass sie regionale, saisonale und nachhaltige Produkte kaufen. Und das ist ein ganz dickes Brett, was es da zu bohren gilt.

Warum nicht mal Gyros vom Grill? Der technische Anspruch ist gering, das Ergnis super

Der „Foodie“ als Multiplikator?

Wie bekommt man Menschen dazu, dass sie eben jenen Benefit erleben, erkennen, erschmecken? Man sollte ja meinen, dass es genug Grill- und Foodblogger und Youtuber gibt, die hier als Multiplikatoren dienen könnten. Und damit sind wir bei der Blasen (Bubble). Denn die wenigsten gehen mit der Intention online, dass sie der breiten Masse bodenständige Rezepte mit vernünftigen Zutaten nahebringen wollen. Ich kenne da kaum jemanden, der den Ansatz einer Henriette Davidis verfolgt, wobei die sich um die Qualität ihrer Zutaten weniger Gedanken machen musste. Stattdessen geht es vielen vor allem um die Likes Gleichgesinnter, also ambitionierter Hobbyköche. Das, was ich da auch an Tellerbildern zu sehen bekomme, hat nichts mit der Alltagsküche einer vierköpfigen Familie zu tun, bei der beide Elternteile arbeiten. Aber gerade die gilt es abzuholen. Weil eben das Gulasch mit dem guten Rindfleisch einfach viel besser schmeckt als mit dem Jungbullen-Zeugs aus dem Discounter. Und zwar ohne, dass man da bei Mondschein gepflückten und anschließenden fermentierten Thymian dazu gibt. Wenn es lecker wird, ohne zu kompliziert zu sein, ist auch klar, warum sich im besten Fall die 15 bis 20 Minuten mehr Einkaufszeit beim Metzger und der sicher auch etwas höhere Preis lohnen.

Grenzen erkennen

Umgekehrt sind aber – mich eingeschlossen – viele dieser Multiplikatoren limitiert. Das kann Fluch und Segen gleichzeitig sein. Fluch ist es, wenn es nicht reicht, um aus einem Themenkomplex herauszuspringen. Der Griller, der außer Steak in 24 Varianten wenig anderes beherrscht und dadurch versucht zu punkten, dass er von mal zu mal teureres Fleisch nimmt, holt die Masse nicht ab. Das Wagyu-Tomahawk für 199 Euro pro Kilogramm holt nur noch eine sehr kleine Zielgruppe ab. Das Spektrum dessen, was draußen kochbar ist, ist unfassbar groß. Zumindest einen Teil dieser Klaviatur sollte man doch bespielen können. Noch schlimmer sind aber die, die das, was sie in ihren Blogs beschreiben oder Videos zeigen, eigentlich nicht beherrschen. Ein Schmorgericht im Dutch Oven funktioniert eben nicht so, dass man alle Zutaten in den Topf wirft und vier Stunden wartet. Das macht der Koch in der Muppets Show. Segen ist es, wenn man zwar gewisse Kompetenzen besitzt, aber die nicht reichen, damit man die Bodenhaftung verliert…

Es geht auch um Familienküche

So oder so: Wenn Foodies Tellerbilder präsentieren, bei denen ein Sternekoch erblassen würde, dann ist das ganz weit weg von den meisten Menschen. Es gibt keinen Grund, qualitativ guten Zutaten eine Behandlung angedeihen zu lassen, die sowohl kulinarisch als auch handwerklich auf hohem oder höchstem Küchen-Niveau rangiert. Die Mehrheit der kochenden Menschen da draußen kann nicht einmal eine Zwiebel in 30 Sekunden würfeln. Aber auch Zubereitungen, die am Ende geschmacklich überhaupt nicht das aus einem guten Produkt herausholen, was drinsteckt, sind nicht zielführend. Denn wenn der Unterschied zwischen Gulasch vom Weiderind und vom Jungbullen am Ende nicht erlebbar ist, dann bricht auch das Argument für das Fleisch des Weiderindes zusammen.

Alle sind gefragt, wir müssen raus aus der Blase

Wenn wir Foodies das, was wir so gerne vorgeben zu wollen, auch wirklich beabsichtigen, nämlich Multiplikatoren für Tierwohl, Nachhaltigkeit, Regionalität und Saisonalität sein zu wollen, wirklich ernst meinen, dann müssen wir mit dem, was wir tun, die breite Masse abholen. Dann reicht es nicht, dass wir uns in unserer Blase alle im gegenseitig versichern, wie toll wir uns finden. Dann müssen wir mehrheitlich Dinge zubereiten, die für die Menschen außerhalb unserer Bubble reproduzierbar sind. Mit Zutaten, die für die meisten auch realistisch in guter, nachhaltiger Qualität beschaffbar sind, ohne dass man dafür erst die halbe Welt bereisen muss. Und letztlich ist auch der Handel gefragt. Denn auch der könnte – gerade beim Fleisch – Produkte viel nachhaltiger und ganzheitlicher verkaufen, würde er seine Kundinnen und Kunden gelegentlich erleben lassen, was für Geschmackserlebnisse mit eben jenen Produkten möglich sind.

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